Die zermürbende Trainer-Geschichte findet endlich ein Ende: Der FC Bayern setzt zur neuen Saison auf Vincent Kompany. Der Belgier ist mit 38 Jahren noch sehr jung für einen Trainer und kommt von einem Underdog-Team. Da tut sich eine Parallele auf.
Habemus Trainer! Weißer Rauch an der Säbener Straße! Die Entscheidung ist gefallen. Vincent Kompany tritt zur neuen Saison die Nachfolge von Thomas Tuchel beim FC Bayern an. Das verkündet Karl-Heinz Rummenigge am Dienstagabend. An diesem Mittwochnachmittag wird der neue Mann beim Rekordmeister erwartet und soll den Vertrag, angeblich über drei Jahre, unterschreiben. Als Ablöse sollen zehn bis zwölf Millionen Euro fällig. Auf der Zielgeraden gab es keine böse Überraschung mehr. Und auch keine (bekannte) Gegenstimme aus dem mächtigen Klubkosmos, die so viel Gewicht bekam, dass auch der Plan ... (nun, man weiß es nicht), noch torpediert wurde.
Kompany kommt vom FC Burnley. Das ist eine Mannschaft, die in dieser Saison als Aufsteiger sang- und klanglos aus der Premier League wieder abgestiegen ist. Gerade einmal fünf Siege gelangen in 38 Spielen. Es gab schon spektakulärere Bewerbungsschreiben für das Traineramt des Rekordmeisters, das zuletzt sehr viel von seiner historischen Anziehungskraft verloren hat. Zu sehr ist der Hocker, der in Wahrheit längst ein gut gepolsterter Sitz ist, an der Seitenlinie zum Schleudersitz geworden. Aber so sehr Vincent Kompany auch eine Zwergenlösung beim Scheinriesen sein mag, so spannend ist die Entscheidung. Und hat ein erfolgreiches Vorbild.
Ein bisschen wie bei Xabi Alonso
Bei Meister und Pokalsieger Bayer 04 Leverkusen hatten sie vor nicht allzu langer Zeit den Pfad ins Glück des Unbekannten gewählt. Sie waren ins schöne San Sebastian gereist, hatten die Königliche Fußballgesellschaft aufgesucht (besser bekannt als Real Sociedad de Futbol) und um Xabi Alonso gebeten. Der war in der 3. Liga für die Reserve verantwortlich, nachdem er zuvor ein Jahr lang erste Erfahrungen als Jugendtrainer bei Real Madrid gesammelt hatte. Welch historisch einzigartige Geschichte sich daraus entwickelt hat, trotz der 0:3-Abreibung im Europa-League-Finale gegen Atalanta Bergamo, ist vermutlich jedermann bekannt.
Nun darf sich die Geschichte gut 500 Kilometer von der BayArena entfernt gerne wiederholen. So sehen das der Münchner Sportvorstand Max Eberl und sein Sportdirektor Christoph Freund, die den 38 Jahre jungen Belgier für eine Millionenablöse zum Rekordmeister als Nachfolger von Thomas Tuchel gelotst haben und jetzt endlich die Planungen für die neue Saison vorantreiben können. Schließlich stehen größere Umbauarbeiten an. Zwar ist Tuchel nun weg und damit ein großer Stressfaktor. Aber als Erbe hat er die Erkenntnis hinterlassen, dass der Kader wirklich Veränderungen braucht, um an die nationale Spitze zurückzukehren. Wer kommt, wer bleibt?
Und was plant Kompany, den man hierzulande aus seiner Zeit beim Hamburger SV von 2006 bis 2008 kennt, den man dann aber doch recht schnell vom Radar verlor? Er steht für eine offensive, dominante Spielidee. Mit dieser stürmte er in der Vorsaison in die Premier League und wurde im Unterhaus zum Trainer des Jahres gewählt. Mit über 100 Punkten in der Championship (2. Liga in England) flog er hoch, ehe er nun krachend landete. Die Spielidee und Qualität im Kader hätten nicht zusammengepasst, heißt es in England. Das sollte in München weniger das Problem werden. Auch wenn das Aufgebot in den vergangenen Jahren viel Kraft verloren hat, steckt immer noch jede Menge Potenzial drin. Und die Bereitschaft zur Veränderung scheint beim Verein so groß, wie lange nicht. Eberl hatte sich mit Amtsübernahme am 1. März neben der Trainersuche zur zweiten Aufgabe gemacht, jeden Spieler auf seine Tauglichkeit fürs "Mia san mia" des FC Bayern zu prüfen.
Eine Bayern-Idee mit Charme
Die Idee mit Kompany hat gleich mehrfach Charme. Zum einen müssen die Münchner nicht erklären, warum sie im Top-Regal auf Plan E, F, G zurückgegriffen haben, zurückgreifen mussten. Dieser Makel hätte jedem Zidane, Conte oder wie sie sonst so heißen direkt angehangen. Und sie laufen nicht Gefahr, den nächsten großen Namen zu zermürben oder mit ihm zu scheitern. Für das ohnehin schon angekratzte Selbstverständnis des Klubs und seinen Ruf wäre das Gift gewesen. Plötzlich steht da eine überraschende, kreative und mutige Idee.
Kompany blickt als Trainer auf eine bislang überschaubare Karriere zurück. Das steht im Gegensatz zu seinem Weg als Fußballer, der ihn über die Stationen RSC Anderlecht und Hamburger SV zu Manchester City führte. Dort war er über Jahre hinweg einer der dominanten Abwehrspieler der Liga und Kapitän der "Skyblues". Mit großen Egos, mit meinungsstarken Kabinen kennt er sich bestens aus. Er trainierte unter Ikonen wie Roberto Mancini, Manuel Pelligrini oder Pep Guardiola. Und gerade der Katalane hatte großen Einfluss auf den Belgier, vor allem auf die Art, wie er als Trainer denkt und spielen lassen will. So umweht ihm schon der Beiname des Guardiola 2.0. Solche Vergleiche sind selten gut, weil die Fallhöhe umso größer wird.
Guardiola hat dem FC Bayern "geholfen"
"Ich habe eine ganz große Meinung von 'Vinny'. Es spielt dabei keine Rolle, ob er mit Burnley abgestiegen ist", sagt Guardiola. "Ich habe eine große Wertschätzung für seine Arbeit, wegen seiner Persönlichkeit und seinem Wissen über das Spiel, wie er mit den Medien umgeht und vielen anderen Dingen." Rummenigge berichtete, dass Guardiola bei der Verpflichtung des 38 Jahre alten Belgiers "geholfen" habe. "Er hat Vincent als talentierten Trainer sehr gelobt. Pep kennt Vincent gut und seine Meinung wurde sehr geschätzt
Also offensiv dominant (danach sehnt sich der FC Bayern wieder), defensiv kompakt (das braucht der FC Bayern dringend wieder), so lässt sich seine Idee verdichten. Zudem gilt er als energischer, mitreißender Coach. Und anders als ein Julian Nagelsmann, der als junger Trainer beim FC Bayern nicht nachhaltig glücklich geworden war, besitzt er die nicht zu unterschätzende Aura, ein großer, erfolgreicher Fußballer gewesen zu sein. Das verbindet ihn wiederum mit Xabi Alonso, der auf dem Feld allerdings eine andere Liga war.
Wichtige Sprachkompetenzen
Kompany bringt noch etwas mit, was den Münchnern unbedingt wichtig ist: Er spricht Deutsch und selbstredend auch perfekt Englisch. Das galt ja etwa bei Zinédine Zidane und Roberto De Zerbi als mögliches Hindernis. Frei von jeglichen Vorbehalten wird er das Amt in München dennoch nicht antreten. In Burnley hatte er in dieser Saison einen eher schwachen Kader zu verantworten. Die wertvollsten Spieler tragen Namen wie Sander Berge, Josh Brownhill oder Jordan Beyer. Der letztgenannte ist ein deutscher Innenverteidiger und kam von Borussia Mönchengladbach. Manche erinnern sich vielleicht. Mit großen Stars und Egos hat er zusammengespielt, sie als Kapitän geführt, aber nicht als Trainer angeleitet. Über die Macht der Münchner Kabine ist in den vergangenen Jahren viel geschrieben worden. Nicht alles war positiv. Für Kompany sicher eine große Herausforderung.
Ebenso wie der Umgang mit den Mächtigen an der Säbener Straße. Da sind Eberl und Freund als seine direkten Ansprechpartner. Aber da ist auch CEO Jan-Christian Dreesen, der sich immer mal wieder einmischt. Ebenso wie der Präsident Herbert Hainer. Und da ist Karl-Heinz Rummenigge, der am Tag vor der offiziellen Verkündung mit der Nachricht des bevorstehenden Deals rausgeplatzt war. Warum? Das weiß er wohl nur selbst. Er tat damit auch den Entscheidern Eberl und Freund keinen Gefallen, drängt sich so doch der Eindruck auf, dass die Macht des Klubs nicht in ihren Händen ist. Was angesichts der Attacken von Uli Hoeneß zuletzt eh schon Thema war.
"Wäre fast unmöglich gewesen" Rangnick erklärt seine Absage an den FC Bayern
Chelsea feuert Pochettino Für Tuchel öffnet sich eine Tür in die Vergangenheit
FC Bayern will nur noch "raus" Das sang- und klanglose Ende der Ära Thomas Tuchel
Ja, Hoeneß, der zwar offiziell im Hintergrund ist, aber dessen Meinungsstärke immer wieder wie eine Faust aus der Deckung knallt. So etwa, als er Tuchel die Leidenschaft zur Talententwicklung absprach oder als er Rangnick offiziell zur "dritten Wahl" deklarierte. Dass Hoeneß daraufhin keine Reue zeigte, sich auch nicht um Einordnung bemühte, sondern angriffslustig verkündete, sich wieder stärker einmischen zu wollen, verkompliziert die Lage beim Rekordmeister. Unter anderem an der Macht vom Tegernsee soll eine weitere Zusammenarbeit mit Thomas Tuchel, eine Rückabwicklung der Trennungsvereinbarung aus dem Februar, gescheitert sein.
"Das Beste", so hatte Eberl vor wenigen Tagen verraten, "kommt zum Schluss." Ob die Entscheidung mit dem Trainer Kompany das wirklich einhalten kann? Klar ist (vorerst) nur: Nach einer titellosen Saison steht der junge Belgier sofort unter Silberwaren-Druck. Das Beste müsste also eigentlich direkt am Anfang kommen.